Kiki Smith im Haus der Kunst, München (Mai 2018)
Den Neid auf die Münchner pflegen: Warum dürfen die in dieser Stadt leben mit den prächtigen Gründerzeithäusern, den Gasthäusern (den Namen meines Lieblingsgasthauses nenne ich vorsichtshalber nicht), dem ganzen Grün und dem Wasser, das mitten hindurch fließt und für eine andere, fast schon mediterrane Stimmung sorgt. Ein Feinstaubproblem haben sie natürlich auch, dicke SUVs und BMWs sind in den Straßen unterwegs, auch die Münchner zeigen gerne, was sie haben. Vorbildlich die vielen Radfahrer. Vor denen muss man sich als Fußgängerin und ahnungslose Touristin unbedingt in Acht nehmen. Und draußen sitzen kann man überall: Auf den Plätzen zwischen den Häuserschluchten, im Park oder an der Isar. Einen Cappuccino oder ein Bier trinken, Schweinebraten mit Knödel und Krautsalat essen.
Dann aber ins Haus der Kunst. Die Ausstellung von Kiki Smith ist der eigentliche Grund, warum ich in München bin.
In der Tradition von Louise Bourgeois ist Kiki Smith spezialisiert auf die Darstellung von roher, oft geschundener Weiblichkeit. Auch Innereien, Geschlechtsteile – und neuerdings Tiere – sind ihre Themen. Sie erzählt Geschichten und experimentiert mit Materialien. Ihr Umgang mit Papier, v.a. mit Nepalpapier, ist faszinierend. Kiki Smith wurde schon als Kind von ihrem Vater Tony im Zeichnen unterrichtet und sie ging ihm zur Hand, wenn er Modelle aus Papier für seine abstrakten Plastiken anfertigte. Beneidenswert. Mein Vater, ein Handwerksmeister, hat mir absolut gar nichts beigebracht. Am liebsten war ihm, wenn ich ihm nicht im Weg war.
Die Wurzeln ihres Schaffens liegen bei Kiki Smith im Minimalismus. Im ersten Raum wird deutlich, wie sie sich in den 80er- und 90er-Jahren dem Körper über klare reduzierte Formen annähert. Das Verdauungssystem als eiserne Linie, Abdrücke von Brustwarzen als abstraktes Punktebild, der Abguss eines Schwangerschaftsbauchs als Schutzschild aus Metall. Die Brustwarzen aus Terracotta, die mit Fäden verbunden sind und an der Wand hängen, gefallen mir ganz besonders. Warum wohl?
Wie in einer Apotheke stehen zwölf silberbeschichtete Flaschen mit säuberlich aufgeklebten Etiketten in einer Reihe. Urin, Speichel, Tränen, Blut, Milch oder Erbrechen – beschriftet mit diesen Worten. Mit deutschen Wörtern! Von den Körperflüssigkeiten ist nichts zu sehen, womöglich sind sie auch gar nicht darin enthalten, womöglich sind die Flaschen leer. Aber der Reiz funktioniert: Man sieht und riecht sie sofort.
In den Vitrinen gleich gegenüber liegen eine Hand und eine Zunge aus koloriertem Gips, ein gläserner Magen, Füße. Etwas weiter eine bronzene Gebärmutter, Körperteile, die an antike Fragmente oder mittelalterliche Reliquien erinnern.
Nach dem Tod ihrer Schwester, sie starb an Aids, begann Kiki Smith, auch ganze Körper, nicht mehr nur einzelne Körperteile, herzustellen. Sie benutzte hierfür so unterschiedliche Materialien wie Bienenwachs, Papier oder Bronze. Der weibliche Körper und seine Deformation stehen aber weiterhin im Mittelpunkt: Geburt und Tod, Werden und Vergehen. Der Körper an sich.
Als Kiki Smith unlängst einen Zeitungsbericht über Krähen las, die unweit ihres Hauses in New Jersey tot vom Himmel fielen, nachdem sie durch eine Pestizidwolke geflogen waren, schuf sie die Arbeit „Untiteld“ (Drows). Dutzende Krähen aus Bronze liegen auf dem Boden herum. Vergiftete, tote Tiere behindern das Umherlaufen im Raum und drängen ein Bild des Leidens auf: Bei manchen der Tiere ragt ein Flügel in die Höhe oder ihre Körper sind seltsam verdreht.
„Man kann nur das tun, was für den Moment Klarheit bringt“, sagt Kiki Smith.
Auch ich will versuchen, mich daran zu halten.
