Schlagwort-Archive: Angst

Kotzen für den Frieden

Standard

Da waren die Amis. Ja, man nannte sie „Amis“, die einfachen Soldaten, die GIs, die in den Barracks am Rande der Stadt wohnten. Die mit hoch rasierten Schädeln dienstlich im Kampfanzug und privat in Jeans und Holzfällerhemden in unseren Straßen unterwegs waren oder in den Cafés auf dem mittelalterlichen Marktplatz herumsaßen. Sie sollten wohl für Sicherheit sorgen, für die Sicherheit Deutschlands oder Europas oder der Welt oder vielleicht doch einfach nur für die Sicherheit Amerikas, so genau wusste man das nicht. Sie brachten also Sicherheit, aber auch Schoko-Erdbeer-Vanille-Milcheis in Pappbechern, die so riesig waren, dass ein kleines Kind hinein gepasst hätte, und Whiskey, Kokain und Heroin. Mitten hinein in meine schwäbische Heimatstadt. Wenn ich abends in engen Levisjeans und einem langen Hemd, das ich aus dem Schrank meines Vaters stibitzte, mit meinen Freundinnen ausging, und wenn ich mich auf eine Runde Billard oder mehr, ein bisschen knutschen und herumfingern, einließ, kostete mich der Abend keinen Pfennig. Bei einer meiner Freundinnen ging das schief, sie wurde gleich beim ersten Mal geschwängert und ging noch vor dem Abitur mit ihrem Jonny nach Amerika. Nur einmal habe ich sie wiedergesehen, da hingen vier rotznäsige Bälger an ihrem Rockzipfel. Und nicht zu vergessen: Ein paar Drogentote gab es auch.

Die Amis waren deshalb da, weil oberhalb der Stadt, direkt am Wald, die 56. Brigade mit ihren Pershing II Mittelstreckenraketen stationiert war. Und einmal, es muss im Sommer 1983 gewesen sein, fand da oben ein großes Camp gegen die atomare Aufrüstung statt. Der Dietmar Schönherr kam im Porsche angefahren, er sah wirklich gut aus, sein rotes Cabriolet auch. Als er den Commander McLane in der Raumpatrouille spielte, da hatten meine Eltern noch kein Fernsehgerät. Als er ein bisschen später mit der hübschen Dänin, die so einen lustigen Akzent hatte, die Show „Wünsch Dir was“ machte, da saß auch meine Familie begeistert vor dem neuen Schwarzweißfernseher. Ein bisschen war ich enttäuscht, denn die Vivi Bach saß nicht mit im Porsche. Aber der Heinrich Böll war da. Und der Walter Jens. Und der Günter Grass. Seine »Blechtrommel« hatte ich gerade erst gelesen. Und ganz viele amerikanische Soldaten und ganz viel deutsche Polizei. An der Sitzblockade – die Zufahrt zum US-Camp wurde blockiert – durfte eigentlich nur teilnehmen, wer vorher ein vierwöchiges Antigewalttraining absolviert hatte. Weil die Prominenz sich daran nicht gehalten hatte, war man mit deren Anwesenheit eigentlich nicht einverstanden. Gleichzeitig war man aber froh, dass sie da waren, weil sie ganz viele Zeitungs- und Fernsehleute im Schlepptau hatten. Ich selbst war ahnungslos dort hingekommen und fasziniert von all diesen Menschen, die genau wussten, was zu tun war. An der Sitzblockade durfte ich mangels Training und Berühmtheit nicht teilnehmen, ich wurde immer wieder zur Seite geschoben, weggeschubst, gar nicht beachtetet. Obwohl ich doch eine junge Studentin war, die auch etwas beitragen wollte zum Frieden in der Welt. Die Angst vor dem atomaren Krieg, die Angst vor diesem Präsidenten namens Ronald Reagan, der auch ein Schauspieler war, aber einer ohne Skrupel und mit großer Macht, hatte mich dort hingetrieben. Und die Angst vor den Russen mit ihren SS 20. Den „Russ“ mochte man fast noch weniger als den „Ami“. Denn der Großvater war erst spät und mit einem Loch im Kopf aus der Gefangenschaft zurückgekommen.

Kurz bevor es dunkel wurde, ging ich gemeinsam mit Ulrike, meiner alten Schulfreundin, die ich im Blockadedurcheinander immer wieder verloren und dann wiedergefunden hatte, bergab, noch einmal die 10 Kilometer zu Fuß, weil die Zufahrtsstraßen gesperrt waren. Und weil ich noch nicht nach Hause wollte, ging ich mit zu Ulrike. Beide waren wir schwer beeindruckt von dem, was wir gesehen und erlebt hatten. Heute hatten wir dieses Camp erstmals mit eigenen Augen gesehen, wussten jetzt, wie diese Raketen untergebracht waren. Hatten auch erfahren, dass die ständig im Wald hin und her bewegt, auf Lastwagen durch die Gegend gefahren wurden. Gleichzeitig waren wir aufgekratzt und überdreht, alberten herum, schwärmten für Commander McLane. Ulrike holte eine große Flasche aus ihrem Schrank und zwei Zahnputzbecher aus dem Bad. Es war die halbe Gallone Whiskey, die sie von der Familie Fairbanks für Babysitterdienste bekommen hatte. Bislang fehlte ihr die Idee, was sie mit dieser Flasche tun sollte. Dem Vater zu Weihnachten schenken? Das war eine echt riesige Flasche, und der Vater trank eigentlich kaum Alkohol, schon gar keinen Whiskey. Vielleicht mal einen Asbach Uralt, aber auch das nur an besonderen Tagen. Wir lebten in einer Garnisonsstadt und im PX-Store in der Kaserne, wo nur Armeeangehörige einkaufen durften, gab es vielerlei Dinge, die direkt aus den USA importiert wurden, und die wir gar nicht kannten. Nur beim alljährlichen deutsch-amerikanischen Volksfest kam man an diese riesigen Becher American Ice Cream.

Normalerweise hatten Ulrike und ich mit Alkohol oder Drogen nichts am Hut. Heute aber sollte dieses unbekannte Gesöff namens Jim Beam uns auf andere Gedanken bringen. Uns retten, vor den Raketen, vor den Amis, vor den Russen, vor dem Ende der Welt. Wir fingen an zu trinken, zögerlich am Anfang, denn das braune Zeug schmeckte wirklich ekelhaft. Wir schenkten die Zahnputzbecher trotzdem immer wieder nach. Bis Ulrike würgte und sich die Hand vor den Mund hielt. Jetzt musste es schnell gehen, sie schaffte es gerade noch bis zum Waschbecken im Badezimmer, die Toilette war unten und unerreichbar, und übergab sich. Dann kotzte auch ich mir die Seele aus dem Leib. Seite an Seite standen wir über das Waschbecken gebeugt und kotzten und husteten und rangen um Luft. Wir hatten den ganzen Tag nichts Richtiges gegessen und der Alkohol gab uns nun den Rest. Es stank fürchterlich und überall waren Spritzer, im Waschbecken, auf den Fliesen dahinter, auf dem flauschigen weißen Badvorleger. Auf den Knien und mit einem Waschlappen versuchten wir abwechselnd, die Spuren zu entfernen. Wir waren aber viel zu betrunken und zu zittrig, um mit dem Läppchen wirklich etwas auszurichten, die Kleckse wuchsen und wuchsen, welch ein Horror, schlossen sich schließlich zu einem großen braungrauen Fleck zusammen. Wir konnten nur hoffen, dass er gut antrocknen und die Eltern von Ulrike nichts merken würden.

Bis heute kann ich keinen Whiskey trinken. Schon der Geruch haut mich um. Der hat sich eingegraben in mein Gedächtnis, wie auch dieser Sommernachmittag, an dem ich einfach nur an einer Sitzblockade teilnehmen wollte. Und konfrontiert wurde mit dem Kalten Krieg. Mit diesen Pershings. Mittelstreckenraketen, was sollte das eigentlich heißen? Welche Entfernungen waren damit gemeint, auf wen waren die gerichtet? Waren die weniger schlimm als Langstreckenraketen? Die Eltern wollte ich nicht fragen. Die lebten in ihrer kleinen Welt und wollten nicht in die große hinein gezogen werden.

Ich erinnere mich noch gut, dass ich damals, als ich noch bei meinen Eltern wohnte, nachts oft stundenlang wach lag und mich mit dem Gedanken plagte, dass ich nicht alt werden, dass ich meinen 30. Geburtstag nicht erleben würde. Ich war mir sicher, dass dieser amerikanische Cowboypräsident bald den roten Knopf drücken und einen atomaren Krieg auslösen würde. Und eine russische Atomrakete würde dann alles zerstören. Meinen Heimatort, mein Elternhaus, mich selbst. In Schutt und Asche legen.

Damals ist alles noch einmal gut gegangen. Der Rest des Whiskeys landete im Ausguss, die Flecken wurden mit 90 Grad und Ariel herausgewaschen (Ulrikes Mutter sagte kein Wort), die Pershings waren 1991 weg.

Da war ich schon 31 Jahre alt.

Stuttgart, 13. März 2022

How is life?

Standard
Am Wasser, Ghana 2010

Gegen fünf dämmerte das Morgenlicht. Sie lag unter diesem steifen Betttuch, das nach Kernseife roch. Und obwohl es noch nicht einmal ganz hell war, lief Schweiß über ihre Stirn. Sie tropfte aus dem Nacken. Und schwitzte zwischen den Brüsten und den nackten Beinen. Ganz erschlagen war sie von der Nacht auf der harten Matratze aus Stroh. Sie lauschte nach draußen, versuchte, den Lärm zu ergründen. Sie wollte nicht glauben, dass es nur das Meer war, das sie da hörte. Diese riesigen Wellen des Atlantischen Ozeans, die gegen Felsen schlugen. Es gab nicht den Autolärm wie zuhause, wo sie zwar in einer ruhigen Straße wohnte, aber den Verkehr von der etwas entfernten größeren Ausfallstraße immer im Ohr hatte. Außer sie machte alle Fenster zu. Außer sie versuchte, sich einzubilden, es sei das Meer, was da rauschte, nicht Autos, die Tag und Nacht die Straße hinauf und hinunter fuhren. Und jetzt war es das Meer. So dicht, so laut, dass sie es als bedrohlich empfand. Diese Wellen, die an Felsen schlugen. Wie ein Händeklatschen, ein Platsch, wenn sie sich wieder zurückzogen. Immer die kleinen Steinchen im Schlepptau, die das schlurfende Geräusch machten. Jederzeit hätte sich ein Mensch oder ein Tier heranschleichen können, ohne dass sie es gehört hätte. Gar nichts hätte sie gehört. Keinen Ton, keine Schritte. Nur dieses Schlagen, dieses Platschen, dieses Klatschen. Und die Steinchen. Dieses Schlurfen. In der Nacht, die ihre erste Nacht war, als sie wegen der feuchten Hitze und der ungewohnten Umgebung in dieser Hütte, wo es ein Bett, ein Regal und einen Stuhl gab und sonst nichts, nicht hatte einschlafen können, waren Ängste ganz klammheimlich in ihren Kopf und durch ihren Körper gekrochen: Wer oder was schlich gerade um ihre Hütte herum? Wer wollte etwas von ihr, wer trachtete ihr womöglich nach dem Leben? Ihr war klar geworden, dass sie nicht nur allein in ihrer Hütte, sondern allein auf dem großen Gelände war. Auch sie hätte niemand hören können, niemand wäre ihr zu Hilfe kommen.

Die Hitze des Tages kam jetzt unter der Tür hindurch in die Hütte gekrochen, dann unter ihr Betttuch. Sie horchte tief. Tief ein, tief aus. Aber da war nur der Lärm des Ozeans. Angst machte ihr, dass sie die Geräusche hinter den Geräuschen nicht hörte. So laut und doch kein Laut. Immer nur dieses Meer.

Dann kam ein neuer, noch größerer Lärm. Sie vermochte nicht zu sagen, woher er kam, aber sie hörte ihn ganz deutlich, den undefinierbaren Lärm hinter den Wellen. Es kam ihr so vor, als würde jemand mit etwas Metallischem auf etwas Metallisches schlagen. War das der Weckruf? Sollten alle aufwachen, die Nacht beenden und mit dem Tagwerk beginnen? Oder war es die Aufforderung, zum Morgengottesdienst in eine der vielen Kirchen zu kommen? Sie hatte gelesen, dass die und die dazugehörigen Gläubigen von den Missionaren an der Küste zurückgelassen worden waren.

Durch die  Fensteröffnung, bei der man die Holzlamellen auf- und zuschieben konnte, passten im geschlossenen Zustand nur Moskitos. Und Käfer und Spinnen. Und die Geckos, die dann Kopf unter an den Deckenbalken hingen, völlig reglos, mit ihren pulsierenden kleinen Lungen. Die glotzten ohne Scham auf alles unter sich, auch auf ihren nackten Körper, der da noch im Bett lag.

Gleich in dieser ersten Nacht war Schreckliches passiert. Auf dem Weg zur Toilette, die etwas entfernt auf dem großen Gelände lag, war sie auf etwas getreten. Auf etwas Riesiges, etwas Klitschiges. Sie wusste gleich, dass es ein Tier war. Der reinste Horror, in dieser Dunkelheit mit dem Schlappen auf etwas zu treten, das groß und glitschig war und sich unter ihrem Fuß bewegte. Sie erschrak zu Tode und dachte sofort an eine giftige Schlange. Denn dass es hier gefährliche Tiere und schlimme Krankheiten gab, daran zweifelte sie nicht. Als sie mit der kleinen Kerosinlampe hinleuchtete, sah sie, dass es eine schwarze Kröte war, fett und furchterregend. Auf dem hastigen Rückweg zur Hütte erschrak sie ein weiteres Mal, das Herz setzte kurz aus, als plötzlich zwei weiße Augen und der Atem von Bier und Zigaretten vor ihr standen. Der Nightwatch, der so schwarz war, wie die Nacht selbst, machte seinen Rundgang über das Gelände. Auf seine Frage „How is life?“ konnte sie nicht antworten, sie war mit ihren Nerven am Ende.

Kein weiteres Mal würde sie nachts die Hütte verlassen, das hatte sie sich geschworen. Zum Glück steckte ein Schlüssel innen in der Tür. Sie drehte ihn gleich dreimal um.

Das Moskitonetz hatte ihr in der Nacht Schutz geboten. Am Morgen, beim ersten Gang zur Toilette, als es draußen schon hell war, aber in den Toilettenkabinen noch dämmerig, wurde sie gestochen. Die Moskitos griffen hinterrücks an und stachen dahin, wo man nicht damit rechnete oder vergessen hatte, sich mit Autan einzuschmieren: in den Hintern. Sie konnte nur hoffen, dass ihre Malariaprophylaxe Schlimmeres verhinderte. Sie hatte ja gelesen, dass die Malaria nicht anders war als eine Grippe. Dass Malariatabletten gar nichts brachten, weil 85 Prozent der Malariaparasiten zwischenzeitlich immun waren, hatte sie ebenfalls gelesen. Aber sie wollte hier nicht krank werden, weder mit einer Grippe noch mit einer anderen Tropenkrankheit im Bett liegen, wenn man diese harte Matratze und das Kernseifenbetttuch so nennen wollte.

Beim Frühstück unter einem Palmdach, wo es englisches Porridge mit einem Schuss Kondensmilch und schwarzen Tee gab, erzählte sie von der schlaflosen Nacht. Sie versuchte, so unauffällig wie möglich dreinzuschauen und ihr Leid so unaufdringlich wie möglich zu klagen. »Sag es ganz nebenbei und selbstverständlich« mahnte sie sich. Wie irgendeine Deutsche, die ganz zufällig mit lauter Afrikanern an einem Frühstückstisch am Atlantischen Ozean sitzt, ekligen Haferbrei isst und zu erklären versucht, warum sie künftig nicht mehr zur Toilette gehen will. Zu ihrer Überraschung fand sich sofort eine Lösung: Eco, der Mann, der für die Sauberkeit auf dem Gelände zuständig war, wurde angewiesen, ihr einen Nachttopf zu bringen. Er war es auch, der ihr am Abend zuvor eine Kerosinlampe vor die Hütte gestellt hatte. Um über das Gelände zu gehen, brauchte sie künftig keine Funzel mehr, aber um in der Dunkelheit den Nachttopf zu finden. Denn diese Dunkelheit, die war dunkel, die war rabenschwarz. Und laut.

Nach den Schrecken der Nacht verließ sie am ersten Tag das Gelände nicht. Sie erkundete die nähere Umgebung der Hütte. Unter herrlichen Palmen waren Steingärten angelegt. Die Luft roch nach Salz und immer wieder ergaben sich zwischen den wiegenden Palmwedeln Blicke auf das blauste Blau des Wassers. Dann saß sie auf ihrer kleinen Terrasse: So nah war sie dem Ozean noch nie gewesen.

Am Nachmittag ging sie hinunter zum Strand, wo junge Männer aus dem Ort ein Bad nahmen. Ihnen war gesagt worden, dass sie in den kommenden vier Wochen, während der Dauer der Anwesenheit des Gastes, bitte eine Badehose tragen und nicht auf den Strand machen sollten. Früher war dies die Waschstelle des Dorfes gewesen, jetzt war es ein kleines Stück Privatstrand, das zum Resort gehörte. Sie war froh, dass die jungen Männer Hosen anhatten. Ein Sonnenbad nehmen oder schwimmen wollte sie hier aber garantiert nicht. Früher war es üblich gewesen, ein Loch zu graben, hinein zu machen und das Loch wieder zuzumachen. Das hatte mit Glauben zu tun und der Furcht, dass jemand die Exkremente nehmen könnte, um »schlechte« Medizin daraus zu fabriziere. Heute glaubte man an den christlichen Gott und schiss nicht mehr in, sondern auf die Erde, das war bequemer und man musste ja keine Angst mehr haben vor bösen Geistern. Und doch sollte es noch Geister und Hexen geben. Man sagte ihnen nach, Zauberei zu beherrschen und anderen Böses zu tun. Wenn jemand in der Familie oder in der Nachbarschaft schlimm erkrankte, suchte und fand man schnell eine Schuldige. Ihr machte man den Prozess, und sie musste ihre Familie verlassen. Im Reiseführer stand, dass es im Norden des Landes es ein richtiges Hexendorf gab, wo Missionare sich um die Fortgejagten kümmerten. Dahin ins Buschland, wo es keine Straßen, keinen Strom und nur wenig Wasser gab, brachte man sie.

Man erzählte sich, dass auch die weiße Hautfarbe auf eine Hexerei zurückging: Die eine Nebenbuhlerin streute der anderen Pfeffer auf das am See abgelegte Hautkostüm, so dass diese es nicht mehr anziehen konnte und fortan mit der Unterhaut leben musste.

Da am Strand traf sie auch den Snakeman. »Akwaaba«, »welcome«, sagte er, obwohl das gar nicht zur Situation passte. In der Hand hielt er eine weiße Plastiktüte, in der es zappelte. Er war der Mann, der Schlangen mit den blanken Händen fing, um ihnen das Gift abzuzapfen. Auch erzählte er ihr mit wenigen Worten, gut Englisch konnte er nicht, dass er das Serum an Krankenhäuser verkaufe. Eine große Narbe verlief quer über seine rechte Wange. Sie wagte nicht, danach zu fragen, er und seine Tüte waren ihr unheimlich genug. Da half auch das Trikot von Borussia Dortmund nicht. Das Fußballtrikot trug der Snakeman mit Würde, obwohl die Farben ausgebleicht, das Gelb nur noch hellgelb und das Schwarz nur noch grau war. Von der Sonne und bestimmt auch vom vielen Waschen von Hand und mit Kernseife. Die kleine braune Hündin, die dafür zuständig war, durch die Büsche zu streifen und die Schlangen aufzustöbern, ging nicht von seiner Seite. Sie stand da mit traurigen Augen und eingezogenem Schwanz und wich zurück, als sie sie streicheln wollte. Womöglich waren diese beiden Garanten dafür, dass der eine oder andere Weiße nicht gleich ins Gras beißen musste.

Kinder aus dem Dorf schlichen sich von hinten an, und sie hörte, wie sie sich gegenseitig aufforderten, sie anzufassen. Sie dachte, dass sie ihre weiße Haut spüren wollten, die Haut einer »Obroni«, die hier als unvollkommen – wie ein Unterkleid eben – und schwabbelig und gleichzeitig als etwas Besonderes galt. Doch als die »Obroni« »Obroni« Rufe immer näher kamen, kapierte sie, dass die Kinder gekommen waren, um bei ihr um Wasser zu betteln, denn sie hielten rostige Dosen und Plastikbecher in den Händen. »Water«, immer wieder »water« sagten sie. Im Resort gab es aufbereitetes Wasser, sie durfte trinken, so viel sie wollte und unter der Dusche stehen, so lange sie wollte. Im Dorf aber, das an einer schmutzigen Lagune lag, gab es nur wenig sauberes Wasser und viele Kinder starben früh. Bevor sie eine Entscheidung treffen konnte, war Eco da, der Mann für Sauberkeit, der Mann für’s Grobe, und verjagte die kleinen Bettler.

Zu kostbar das Wasser für die Kinder am Wasser.

Im Wasser, Ghana 2010