Assoziationen zur Ausstellung Congo Stars in der Kunsthalle Tübingen (Juni 2019)
Wenn es nur immer so einfach wäre mit den Eingebungen…
Sie waren in dieses Resort gekommen, weil die Besitzerin, eine Frau namens Gitte, in Deutschland dafür geworben hatte. Sie war eine Deutsche. Sie war immer alleine gewesen und hatte auf einer Reise durch Afrika einen Mann getroffen. Es war hier nicht unüblich, einen Mann zu treffen. Da gab es weiße Frauen, denen ein Mann fehlte und schwarze Männer, die ihre Situation dadurch verbesserten, dass sie sich diesen zur Verfügung stellten. Erst einmal blieben sie vor Ort und boten Liebe oder besser: Sex im Austausch gegen Smartphones, teure Markenturnschuhe, schwere goldene Ketten und Uhren, die die weißen Frauen mitbrachten, wann immer sie zu Besuch kamen. Selbst wenn sie bereits Frau und Kinder hatten, waren die Männer im zweiten Schritt nicht abgeneigt, nach Europa zu kommen. Auch der Partner von Gitte war nach Deutschland gekommen, hatte sich aber nicht wohlgefühlt, wollte nicht bleiben. Da hatte Gitte, die ein gutes Leben als Uniprofessorin in Potsdam hatte, ihm das Resort an der Steilküste gekauft. Seine Erstfrau und seine Söhne lebten in der Hauptstadt, er selbst mal da, in der Stadt, mal da, im Gästehaus am Meer. Wenn Gitte zwei-, dreimal im Jahr zu Besuch kam, war er der Mann an ihrer Seite. In seinen Augen war sie, die einige Jahre älter war, ein alte Frau, aber eine, die er schätzte, weil sie ihm Wohlstand brachte. Es gab Dreiecksgeschichten aller Art, man nahm es da nicht so genau. Oder besser: Man wollte ein auskömmlicheres Leben haben und musste schauen, wo man blieb.
Zur Installation Light Wall (2000/2017) von Carsten Höller (Kunstmuseum Stuttgart)
Helles Licht flirrt Lichtpunkte attackieren Glühbirnen blinken Sie schreien dich an Attacke, Attacke Eine Lichtorgie Macht deine Augen flackern Der Schädel dröhnt Deinem Herz wird schlecht Weg, schnell weg
E r dreht sich und dreht sich im Kreis K ein Innehalten S ein Kopf ein Karussell T anzen, immer weiter, immer weiter A uf dem Vulkan S ein Atem gerät außer Kontrolle E wiges Licht, ewiglich
Den Neid auf die Münchner pflegen: Warum dürfen die in dieser Stadt leben mit den prächtigen Gründerzeithäusern, den Gasthäusern (den Namen meines Lieblingsgasthauses nenne ich vorsichtshalber nicht), dem ganzen Grün und dem Wasser, das mitten hindurch fließt und für eine andere, fast schon mediterrane Stimmung sorgt. Ein Feinstaubproblem haben sie natürlich auch, dicke SUVs und BMWs sind in den Straßen unterwegs, auch die Münchner zeigen gerne, was sie haben. Vorbildlich die vielen Radfahrer. Vor denen muss man sich als Fußgängerin und ahnungslose Touristin unbedingt in Acht nehmen. Und draußen sitzen kann man überall: Auf den Plätzen zwischen den Häuserschluchten, im Park oder an der Isar. Einen Cappuccino oder ein Bier trinken, Schweinebraten mit Knödel und Krautsalat essen.
Dann aber ins Haus der Kunst. Die Ausstellung von Kiki Smith ist der eigentliche Grund, warum ich in München bin.
In der Tradition von Louise Bourgeois ist Kiki Smith spezialisiert auf die Darstellung von roher, oft geschundener Weiblichkeit. Auch Innereien, Geschlechtsteile – und neuerdings Tiere – sind ihre Themen. Sie erzählt Geschichten und experimentiert mit Materialien. Ihr Umgang mit Papier, v.a. mit Nepalpapier, ist faszinierend. Kiki Smith wurde schon als Kind von ihrem Vater Tony im Zeichnen unterrichtet und sie ging ihm zur Hand, wenn er Modelle aus Papier für seine abstrakten Plastiken anfertigte. Beneidenswert. Mein Vater, ein Handwerksmeister, hat mir absolut gar nichts beigebracht. Am liebsten war ihm, wenn ich ihm nicht im Weg war.
Die Wurzeln ihres Schaffens liegen bei Kiki Smith im Minimalismus. Im ersten Raum wird deutlich, wie sie sich in den 80er- und 90er-Jahren dem Körper über klare reduzierte Formen annähert. Das Verdauungssystem als eiserne Linie, Abdrücke von Brustwarzen als abstraktes Punktebild, der Abguss eines Schwangerschaftsbauchs als Schutzschild aus Metall. Die Brustwarzen aus Terracotta, die mit Fäden verbunden sind und an der Wand hängen, gefallen mir ganz besonders. Warum wohl?
Wie in einer Apotheke stehen zwölf silberbeschichtete Flaschen mit säuberlich aufgeklebten Etiketten in einer Reihe. Urin, Speichel, Tränen, Blut, Milch oder Erbrechen – beschriftet mit diesen Worten. Mit deutschen Wörtern! Von den Körperflüssigkeiten ist nichts zu sehen, womöglich sind sie auch gar nicht darin enthalten, womöglich sind die Flaschen leer. Aber der Reiz funktioniert: Man sieht und riecht sie sofort.
In den Vitrinen gleich gegenüber liegen eine Hand und eine Zunge aus koloriertem Gips, ein gläserner Magen, Füße. Etwas weiter eine bronzene Gebärmutter, Körperteile, die an antike Fragmente oder mittelalterliche Reliquien erinnern.
Nach dem Tod ihrer Schwester, sie starb an Aids, begann Kiki Smith, auch ganze Körper, nicht mehr nur einzelne Körperteile, herzustellen. Sie benutzte hierfür so unterschiedliche Materialien wie Bienenwachs, Papier oder Bronze. Der weibliche Körper und seine Deformation stehen aber weiterhin im Mittelpunkt: Geburt und Tod, Werden und Vergehen. Der Körper an sich.
Als Kiki Smith unlängst einen Zeitungsbericht über Krähen las, die unweit ihres Hauses in New Jersey tot vom Himmel fielen, nachdem sie durch eine Pestizidwolke geflogen waren, schuf sie die Arbeit „Untiteld“ (Drows). Dutzende Krähen aus Bronze liegen auf dem Boden herum. Vergiftete, tote Tiere behindern das Umherlaufen im Raum und drängen ein Bild des Leidens auf: Bei manchen der Tiere ragt ein Flügel in die Höhe oder ihre Körper sind seltsam verdreht.
„Man kann nur das tun, was für den Moment Klarheit bringt“, sagt Kiki Smith.
Jean-Michel Basquiat in der Schirn, Frankfurt (Mai 2018)
Da gibt es Fotos von Häuserfassaden, die Basquiat gemeinsam mit einem Freund unter dem Signet „SAMO“ (same old shit) besprüht hat. Das war wohl 1978, als er siebzehn Jahre alt war. Zornig muss er gewesen sein, er, der bereits Familie und Schule verlassen hatte.
Dann gibt es Vitrinen mit Postkarten, die er gestaltete, um sie zu verkaufen und sich über Wasser zu halten. Der Legende nach hat auch Warhol eine dieser Karten für einen Dollar gekauft. Der Kauf eine gute Anlage, wenn man bedenkt, was Basquiat, der Superstar, heute wert ist.
Sie selbst ist 1990 zum ersten Mal nach New York gekommen. Sie war 30 und Basquiat, der im selben Jahr wie sie selbst geboren war, bereits tot. Postkartenoriginale von Basquiat gab es da schon lange keine mehr zu kaufen. Auch die Häuserfronten in der Lower Eastside sahen da schon längst nicht mehr so aus wie auf diesen Fotos in der Ausstellung, vieles war saniert und „geschönt“.
Zu Lebzeiten war Basquiat Nacht für Nacht in den angesagten Clubs unterwegs. Meine Freundin, die damals in New York lebte, ist stolz, ihn verschiedene Male beim Feiern getroffen zu haben.
Sein Leben währte gerade einmal 27 Jahre, eine Überdosis Heroin brachte ihn im August 1988 um. In den zehn Jahren, in denen er mit und von der Kunst lebte, schuf er rund tausend Bilder, meist Acryl und Ölkreide auf Leinwand.
In der Ausstellung wird eine Auswahl von rund 100 Werken gezeigt. Manches davon scheint unvollständig, oberflächlich, schnell hingeworfen. Man wird in Abgründe voller Symbole, Ziffern, Chiffren, Zitate gezogen. John Berger hat einmal geschrieben, Basquiat „durchschaut die (visuellen, verbalen und akustischen) Lügen, die jede Minute auf uns einprasseln. Diese Lügen zerlegt und ausgeweidet zu sehen, ist eine Offenbarung.“
Man spürte beim Gang durch die Ausstellung, dass Basquiat ein Rastloser, ein Getriebener war.
Manches erinnert an Cy Twombly. Manches erinnert an Mindmaps, die er möglicherweise angefertigt hat, um Dinge im Gedächtnis zu behalten, um die „Lügen“ im Auge zu behalten. Weil er schwarz war, galt sein Interesse der allgemeinen Diskriminierung von Schwarzen, insbesondere von schwarzen Sportlern und Musikern. Er beschäftigte sich intensiv mit dem schwarzen Jazz, er liebte Musik. Man könnte sagen, dass Musik eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen war: Er sammelte Unmengen von Büchern über Musik, er sammelte Platten. Manches davon ist ausgestellt. Er hörte während des Arbeitens in seinem Atelier nicht nur permanent Musik, er machte auch selbst Musik. Die einzige Platte, die er 1983 aufgenommen und für die er das Cover gestaltet hat, läuft in der Ausstellung.
Um Andy Warhol warb er 1982 mit den lustigen „Doz Cabezas“ (Zwei Köpfe), die er diesem, wie man sich erzählt, nach gerade einmal zwei Stunden noch feucht vorbeibrachte. Man kann sich vorstellen, dass der junge, agile, gut aussehende Basquiat für den alten Warhol eine echte Bereicherung darstellte.
Mein Lieblingsbild aber ist dieses schwarze Brustbild, ähnlich einem Scherenschnitt. Vor dem Hintergrund schmutzig weißer Farbe sind im Schwarz nur zwei Augenschlitze ausgespart. Keine Nase, kein Mund. Zu Berge stehende Rasta-Haare. Ein „Self-Portrait“, gemalt 1983.
Erst war ich total unzufrieden. Alles war mir ein bisschen zu schnell hingekritzelt, nicht nachhaltig genug, keine „fertige“ Kunst.
Am Ende war ich doch zufrieden: Über die Werke Basquiats konnte ich gedanklich zurückfinden in meine 80er Jahre, die in Süddeutschland stattfanden und komplett weiß waren. Trotzdem gab es auch da ein verbindendes Element: Dieses rastlose Suchen… Und meine Gedanken führten mich auch zurück ins New York der beginnenden 90er Jahre… Aufregend, auch ohne Basquiat…